Hallo zusammen,
sicher gibt es geteilte Meinungen darüber, ob ein Leonard-Cohen-Forum der richtige Ort ist, um eigene Gedichte ins Netz zu stellen. Im Folgenden zumindest einige erläuternde Worte zu meinem Gedicht von gestern, um hoffentlich mögliche Missverständnisse zu vermeiden:
Verse 1-3: ich habe in den letzten Tagen im Unterricht einen Text mit dem Titel
Wachstum ohne Ende gelesen, worin auf die großen Probleme hingewiesen wird, die eine ständig wachsende Weltbevölkerung, zu Ende gehende Ressourcen, eine immer mehr zerstörte Umwelt in nicht allzu ferner Zukunft zur Folge haben könnten. Ist es denkbar, dass 11 Milliarden Menschen in 100 Jahren vernünftig zusammenleben werden oder wird alles viel böser enden als wir momentan denken? Wie viel sind eigentlich 11 Milliarden? Ich kann mir gerade noch ein volles Fußballstadium mit 100.000 Menschen vorstellen. In Woodstock 1969 waren circa 400.000 Besucher. Mehr gibt mein Vorstellungsvermögen nicht her.
Vers 4: Im ersten Buch Genesis steht:
Und Gott sprach: Seid fruchtbar und mehret euch! Erfüllet die Erde und macht sie euch untertan! Herrschet über die Fische des Meeres und die Vögel des Himmels sowie über das Vieh und über alles Getier, das auf der Erde kriecht!
Vers 5: Bob Dylan Highway 61:
God said to Abraham: Kill Me A Son (1965). Lou Reed:
Kill Your Sons (1974). Hat das optimistische und dumme Wachstumsdenken der Eltern in den fünfziger und sechziger Jahren nicht die besten Geister einer ganzen Generation regelrecht
getötet? Lou Reed musste sich Ende der fünfziger Jahre einer erniedrigenden und brutalen Elektroschocktherapie wegen auffälligen Verhaltens unterziehen, die ihn sein ganzes Leben gezeichnet hat. Reed war übrigens in den sechziger Jahren einer der wenigen begeisterten Leser von Cohens
Beautiful Losers und hielt die Einführungsrede für Leonard Cohen bei dessen Aufnahme in die Rock’n’Roll Hall Of Fame.
Vers 6-7: Präsident John F. Kennedy versprach den Amerikanern, dass sie bis Ende des Jahrzehnts auf dem Mond landen würden und hielt sein Versprechen auch über seinen Tod hinaus. Amerika lebte in einem unglaublichen Wohlstand und Überfluss. Man dachte darüber nach, Kolonien auf dem Mond zu errichten oder zumindest den Müll mit Raketen dorthin zu schießen. Nach den Desaster der Raumfähre
Challenger 1986 ist von dem ursprünglichen Enthusiasmus wenig übrig geblieben
Vers 8: Wortspiel mit
Pech. In Wirklichkeit geht natürlich das Erdöl zur Neige. Wollen wir etwa in 100 Jahren in 11 Milliarden Personen mit Otto- und Dieselmotoren durch die Gegend knattern?
Vers 9: Verseuchtes Wasser, verschmutzte Luft. Mutter Natur ist auf der Flucht. Neil Youngs
After The Goldrush:
Look at Mother Nature on the run
in the nineteen seventies. Gecovert von Patti Smith auf ihrem letzten Album
Banga (2012).
Vers 10: Lou Reed (schon wieder). Wahrscheinlich deshalb, weil ich gerade die Biografie von Victor Bockris gelesen habe. Er hat während der Studentenzeit in Syracuse die bloße Faust durch ein Fenster geschlagen und musste das Konzert von The Eldorados absagen und im Krankenhaus genäht werden. Die Black Panthers waren bis an die Zähne bewaffnet und reckten die geballte Faust in die Luft.
Vers 11-12: Ist der
Dauerregen der
harte Regen von Bob Dylan? Die
Sintflut von Zeile 20? Wahrscheinlich ist alles viel banaler. Hier in Neapel hat es die letzten Tage stark geregnet. Ich war ganz konkret auf dem Terrassendach einen Stock höher, um zu prüfen, ob das Dach keinen Schaden hat. Wer so etwas tut, hat doch nicht gleich einen Dachschaden. Wortspiel!
Vers 13: Lieber Heinrich, lieber Heinrich. Wer oder was ist hier eigentlich
im Eimer? Die Umwelt? Die ganze Welt? Oder übertreibe ich nur schamlos und sollte meinem Kopf 2 Wochen Urlaub gönnen?
Vers 14: Gas kann man natürlich nicht stehlen.
Kohlenmonoxyd ist ein Atemgift. Es ist ein farb-, geruch- und geschmackloses Gas. Verbrennungsmotoren produzieren jede Menge
Kohlenmonoxyd. Grüne Pflanzen machen aus Kohlenstoffdioxyd und Wasser Kohlenhydrate und Sauerstoff. Aber der Mensch ist keine Pflanze.
Verse 16-19: Werden der Erde bei 11 Milliarden Menschen die Nahrungsmittel ausgehen? Werden Horden von Obdachlosen auf der Suche nach Essbarem durch die Straßen ziehen und sich mit irgendwelchem Schweinefraß (
schlabbriger Haferbrei) begnügen müssen? Wird man sich gegenseitig wegen eines Kanisters Wasser erschießen?
Verse 20-23: Neil Youngs
After The Goldrush:
All in a dream, all in a dream//
The loading had begun//
They were flying Mother Nature's//
silver seed to a new home in the sun. Bei mir wird die
Silbersaat Youngs ein
silbernes Tuch aus Seide. Ich habe auch keine Ufos, welche die Erde retten, die Young zu Hilfe ruft. Seide stammt traditionell aus China. Der chinesische Staatskapitalismus schert sich einen Dreck um die Umwelt und hat auf seinem letzten Parteitag beschlossen, in den nächsten 20 Jahren das Bruttosozialprodukt zu verdoppeln. China wird endgültig zum reichsten und wirtschaftsstärksten Land der Welt. Die chinesischen Seidenraupen finden eine
neue Raupenheimat und verpuppen sich in einen weißen Kokon, der später zu silbern glänzender Seidentüchern weiterverarbeitet wird. Wird China zum endgültigen Totengräber unserer Umwelt?
Danke für Ihr Interesse.
Wolfgang Haberl