The Berlin newspaper "Der Tagesspiegel" is looking back to the year 2008. One of the years's highlights was Leonards concert in Dublin (and Berlin)!
Rückblick 2008
Lachen am Abgrund
Heath Ledger und Tschechow, Leonard Cohen und Christoph Schlingensief. Ein persönlicher Rückblick auf das Jahr 2008
Von Rüdiger Schaper
28.12.2008 0:00 Uhr
Von Rüdiger Schaper
Leonard Cohen, Dublin, 13. Juni 2008, Royal Hospital Kilmainham.
Der Tag wird lang, wenn man wartet und müde ist. Warten auf Leonard Cohen. „Waiting for the Miracle“, eins der schönsten Lieder auf dem Album „The Future“ von 1992. In all den bald sechzehn Jahren hat er keine Konzerte mehr gespielt, stand auf keiner Bühne, aus philosophisch- religiösen Gründen, möglicherweise. Seit Mai läuft die Comeback-Tour, mit ersten tastenden Auftritten in seiner kanadischen Heimat, und heute Abend das erste Konzert auf europäischem Boden. In Dublin, der Stadt der Dichter, wie er nachher sagen wird, in der schwingenden, klingenden Pause zwischen zwei Songs. Joyce, Yeats, Beckett, Shaw ...
Warten in der Fußgängerzone. Ein Penner setzt sich zu dir auf die Bank, bittet um eine Zigarette. Er erzählt. Von seiner Schwester oder seiner Frau, oder war es seine Mutter, die ihm so übel mitspielte, oder bloß die Vermieterin? Der Alte ist überaus höflich, er verabschiedet sich nach der Zigarette, ohne um Geld zu bitten, und dann hast du es erst bemerkt: Der Mann sprach nicht nur druckreif, sondern trotz seines ruinösen Gebisses auch in einem herrlichen alten Bühnenenglisch. Stil- und zielsicher. Du nimmt den „Penner“ zurück. Laurence Olivier als versoffener irischer Wiedergänger.
Immer noch viel Zeit bis zum Konzert. Am Grab von Jonathan Swift in der St. Patrick’s Cathedral. Eine schmucklose Platte im Boden; dreißig Jahre lang, bis zu seinem Tod 1745, war Gullivers geistiger Vater hier Dekan. Die große Kirche ist voll mit Gräbern, Soldaten des British Empire. Die Inschriften dröhnen von Schlachtfeldern Indiens, Afrikas, wer weiß wo. Und über diesen stillen Lärm der Kirche legt sich jetzt wundervoll leichte Orgelmusik, du kannst endlich einschlafen. Vielleicht eine halbe Stunde später – Zeit jetzt, sich zu Cohen auf den Weg zu machen – zupft dir jemand am Ärmel, ein junger Priester, und fragt, ob du am Gottesdienst teilnehmen und dich in die vorderen Reihen setzen möchtest.
„I stepped into this empty church / I had nowhere else to go.“ Nachher werden wir – achttausend älter gewordene Pilger – auch diesen Vers hören, in dem Song „There ain’t no cure for love“. Kann ein Dichter überhaupt ein Comeback feiern? Unsinn, denn wenn ein Dichter wirklich ein Dichter und Sänger ist wie Cohen, dann bleiben seine Lieder immer im Äther, irgendwo, auf näheren oder ferneren Wolken.
„Suzanne“ singt er auch, aber bei seinem „Halleluja“ lösen sich die Zungen. Es sind die am häufigsten gecoverten Cohen-Songs, häretische Hymnen auf Sex und Religion, Gott und die Geliebte. Die Iren singen mit: „Halle-lu-ja, Halle le-luja“. Ein traumhaftes Konzert. Aber das war schon klar, das stand fest, nach der Vorgeschichte in der Dubliner Fußgängerzone und in St. Patrick’s: An diesem Tag war die Stadt voller kleiner, würdevoller Vorzeichen. Einige Monate später sollte sich das Wunder in Berlin, in der neuen Arena am Ostbahnhof, wiederholen. Die Tournee des 74-Jährigen wird zum Triumph.
(...)
(Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 28.12.2008)
http://www.tagesspiegel.de/kultur/Rueck ... 72,2692822